Johannes Brahms

Anno 1833 wurde in Hamburg unser großer deutscher Tondichter Johannes Brahms geboren. Dieser ist durchaus würdig in einem Atemzug mit Bach, Händel, Mozart, Haydn, Beethoven oder Schubert genannt zu werden. Unser Furtwängler spielt uns die zweite Symphonie von Brahms auf: https://www.youtube.com/watch?v=7xt2yvDm2OU Zu Lesen gibt es die Geschichte unseres alten Meisters bei Max Kalbeck („Johannes Brahms“) und der berichtet uns nun von den Jugendjahren unseres Tondichters: http://www.zeno.org/Musik/M/Kalbeck,+Max/Johannes+Brahms

„Es konnte nicht fehlen, daß das frühreife, fertige Klavierspiel des Knaben überall Aufsehen erregte, wo der Vater ihn bei Verwandten und Kollegen hören ließ, und der im Bekanntenkreise der Familie geflissentlich genährte Wunsch, Johannes möge sich öffentlich produzieren, wurde schließlich so ungestüm, daß ihm Cossel wider seinen Willen nachgeben mußte. Da das materielle Interesse hierbei nicht zuletzt in Frage kam, wurde (1843) mit Ausschluß des großen Publikums eine Art von Subskriptionskonzert veranstaltet, bei welchem Johannes eine Etude von Herz als Bravourstück und im Ensemble mit dem Vater und dessen Kollegen zwei Kammermusikwerke, darunter das Bläserquintett von Beethoven Opus 16, zum allgemeinen Entzücken vortrug. Das Ereignis hätte für die Zukunft des zehnjährigen Brahms die übelsten Folgen gehabt, wären diese nicht von Cossel mit Selbstaufopferung verhütet worden. Ein geschäftslüsterner Unternehmer, der dem Konzert beiwohnte, überraschte Tags darauf die Eltern des glücklichen Debutanten mit dem Antrage, sie sollten ihm den Jungen abtreten für eine Tournee nach Amerika. Er stellte ihnen goldene Berge in Aussicht und versprach ihnen, da sie sich bedachten, ihren Johannes so weit und so lange übers Meer in die Ferne zu schicken, die ganze Familie nachkommen zu lassen. Darüber gerieten die guten Leute natürlicherweise ganz außer sich; es war ihnen zumute, als ob sie in der Lotterie das große Los gewonnen hätten, und alle vernünftigen Gegenvorstellungen, Ermahnungen und Warnungen Cossels fruchteten nichts. Mutter Brahms kam zu Frau Cossel und sagte: „Sehen Sie mal, Madame Cossel, wenn wir nu dahin gehen nach Amerika, und Johannes spielt nu da, dann wohnen wir im Hotelle, und ich brauche nich mehr zu kehren“ (segen). Cossel bestand auf seiner Weigerung. Der Gedanke, sein köstliches Juwel in den Staub getreten, die reine Seele des ihm anvertrauten Kindes dem Verderben preisgegeben, das künstlerische Ingenium, auf welches die Welt ein begründetes Anrecht hatte, in der Knospe vernichtet zu sehen, wurde zum drohenden Gespenst, das ihn Tag und Nacht verfolgte. Zu seinem Schmerz mußte der Redliche erfahren, daß er von anderen um den Schüler beneidet wurde, daß die Neider allerlei Vorwürfe und Anschuldigungen gegen ihn erhoben, und daß die leichtgläubigen Eltern den feindlichen Einflüsterungen um so bereitwilliger Gehör schenkten, als sie die gerechten Bedenken des Lehrers für die Schrullen eines verknöcherten Pedanten hielten, der ihren Johannes anstatt zum glänzenden Virtuosen zu einem bescheidenen Musiker heranbildete, wie er selber einer war. In seiner Bedrängnis faßte Cossel den schweren, ihm tief ins Herz schneidenden Entschluß, auf seinen Schüler zu verzichten. Um jeden Preis wollte er ihn retten, und wäre es um den seines eigenen pädagogischen Rufes! Er tat so, als wäre er davon überzeugt, daß Johannes von ihm nichts mehr lernen könne, und brachte die Eltern mit vieler Mühe zuletzt dahin, daß sie sich dem Schiedsspruche einer höheren musikalischen Instanz unterwarfen. Ganz in der Stille räumte er alle Hindernisse beiseite, die der Ausführung seines Planes entgegenstanden. Er bestürmte Marxsen, Johannes zum Schüler anzunehmen, und spielte auch ihm gegenüber die Rolle des unzureichenden Lehrers. „Cossel, warum wollen Sie den Jungen nicht behalten?“ fragte ihn der verdutzte Marxsen. „Ich kann ihn nicht weiter bringen“, war die doppelsinnige Antwort des geängstigten, treuen Mannes. „Sie sind verrückt, Cossel!“ Damit wurde Cossel abgewiesen. Aber er ließ nicht nach. Tag für Tag stand er vor Marxsens Hause, paßte seinen Ausgang ab und lag ihm in den Ohren, bis Marxsen endlich mürbe wurde und mit einem „Denn man tau!“ seine Zustimmung erteilte, ehe noch die von dem Amerikaner bewilligte Bedenkzeit abgelaufen war. So wurde Johannes Brahms der Schüler des berühmten Marxsen, erhielt aber im stillen daneben auch noch weiter bei Cossel Unterricht und durfte dessen Klavier nach wie vor zum Üben benutzen. Ob Brahms jemals etwas von dem Opfer Cossels erfahren hat? Bei der Verschlossenheit und Schamhaftigkeit seines ersten Lehrers, die viel Ähnliches mit der dem Schüler eigenen Zurückhaltung hatte, sicherlich nicht. Geahnt mag er es haben, wenn er an die verhängnisvolle Wendung seines Lebens dachte und dabei dem Bilde Cossels in die tiefliegenden dunkeln Augen, auf die fest zusammengepreßten Lippen sah, die so viel zu verschweigen hatten – vielleicht zu spät, um den Gramgebeugten mit einer ähnlichen Auszeichnung aufzurichten, wie er sie dem alten Marxsen mit der Widmung seines B-dur-Konzertes („Seinem teuren Freunde und Lehrer“) erwies…“

Hinterlasse einen Kommentar