Anno 1920 wurde unser Oberleutnant Walzer Schuck in Frankenholz im Saarland geboren. Das muß natürlich gefeiert werden. Unser Held hat es nämlich im Sechsjährigen Krieg mit unserer Me 109 und unserer Me 262 auf stolze 236 Abschüsse – bei nur 500 Feindflügen – gebracht. Wofür er das Ritterkreuz samt Eichenlaub verliehen bekommen hat. Sein hauptsächliches Jagdrevier war Norwegen und das Eismeer, aber auch in Polen, Gallien, Holland und Dänemark. Nachzulesen ist das Ganze in „Abschuß! – Von der Me 109 zur Me 262 Erinnerungen an die Luftkämpfe beim Jagdgeschwader V und VII“. Ohne Mampf, kein Kampf – und so berichtet euch unser Fliegerheld nun von der Verpflegung im hohen Norden:
„In Petsamo änderte sich auch einiges. Ein Teil der II./Jagdgeschwader V wurde nach Alakurtti, ein anderer Teil nach Rovaniemi verlegt. Meine ehemalige VII. Staffel wurde auf die Plätze von Kirkenes und Nautsi verteilt. In Petsamo verblieben nur noch die VIII. und die IX./Jagdgeschwader V. Neben dem aus Wien stammenden Feldwebel Josef Kaiser, den wir wegen seines österreichischen Dialekts nur „Beppi“ riefen und Oberfeldwebel Franz Dörr, zählte bald noch ein weiterer Flugzeugführer zu meinem ganz engen Freundeskreis: der stämmige, selbstbewusste und urbayerische Landwirt Unteroffizier Jakob Norz von der VIII. Staffel. Wegen meiner Pilzlieferungen hatte ich gute Kontakte zum Küchenchef Jupp Heinrichs, der mir manchmal ein Steak zukommen ließ. Das Fleisch grillte ich dann auf dem eisernen Ofen in unserem Zelt, wobei man sich vorstellen muss, dass wir an der Arktis bei Ausbruch des Winters 1942 immer noch in den lausig kalten Finnenzelten untergebracht waren! Der Geruch von dem gebratenen Fleisch zog natürlich viele Kameraden an, und einer der Interessiertesten von ihnen war der besagte Unteroffizier Norz. Auch wem wir mit unseren 22 Jahren gleichaltrig waren, kam er mir wegen seiner gefestigten Art viel reifer vor. Eigentlich wurden wir in dieser Zeit in Petsamo, was das Essen anbetraf, noch relativ gut versorgt. Die Soldaten fingen manchmal ein Schneehuhn und lieferten es dann in der Küche ab. Dieser nordische Vogel von der Größe eines kleinen Hühnchens hatte zwar ein sehr zähes Fleisch, brachte aber doch etwas Abwechslung in den eintönigen Speiseplan. Weil ich ein paar Rezepte für die Zubereitung von Pilzgerichten kannte, kamen jetzt die getrockneten Pilze wie gerufen. Manchmal nahmen wir den Kübelwagen und statteten den Männern der Küstenartillerie einen Besuch ab. Bei ihnen tauschten wir unsere Fliegersonderverpflegung bestehend aus Keksen, Studentenfutter und Schoka-Kola gegen frischen Fisch ein. Meiner Mutter hatte ich geschrieben, daß viele meiner Kameraden wegen des hier herrschenden Vitaminmangels an Skorbut litten. Aus Sorge um meine Gesundheit kaufte sie so viele Zitronen, wie sie bekommen konnte und schickte sie mir ans Eismeer. Weil es verboten war Päckchen oder Pakete an die Front zu schicken, hatte ihr die Postlerin von Oberbexbach einen Tipp gegeben: Sie solle die Zitronen einzeln in festes Papier einwickeln und dann die gedrehten Papierenden mit einer Schnur zusammenbinden. Auf diese Weise würde eine Kette entstehen, die aber wiederum die Länge von zwölf Zitronen nicht überschreiten dürfe. Das Ganze würde dann als Brief gelten, und Briefe durften ja verschickt werden. Wenn die Zitronen nach einer sechswöchigen Reise auf dem Land- und Seeweg bei mir ankamen, waren ihre Schalen so hart, dass ich sie mit einer Eisensäge aufschneiden musste. Mit einem Löffel wurde der Saft herausgeholt und über den bei der Küstenartillerie eingetauschten Fisch geträufelt. Lachs, Wels oder Kabeljau mit Zitrone wurde bei uns bald zu einer beliebten Delikatesse. Wegen der ständigen Dunkelheit und den eisigen Temperaturen wurde der Flugbetrieb auf ein Minimum beschränkt. Weil die Russen sicherlich mit den gleichen Orientierungsproblemen wie wir zu kämpfen hatten waren von ihnen derzeit keine Luftangriffe gegen unseren Platz zu befürchten. Endlich waren auch unsere festen Unterkünfte fertig gestellt worden, und so konnte ich aus dem ranzigen Finnenzelt in eine Drei-Mann Baracke umziehen. Ein Zimmer wurde von dem gerade in der IX. Staffel angekommenen Offizier Oberleutnant Wulf-Dietrich Widowitz belegt, die beiden restlichen Zimmer erhielten ein Feldwebel und ich. Das einzig Gute an der dunklen Jahreszeit war, daß wir jetzt viel Freizeit hatten. In der Kasinobaracke, die wir „Wolkenhütte“ getauft hatten, lief mein Plattenspieler heiß, und bald freundeten sich immer mehr Kameraden mit meiner Musikrichtung an. Wem „Tiger Rag“ durch die dunkle Polarnacht schallte, muß jeder Vorbeiziehende gedacht haben, er befände sich nicht am Eismeer, sondern irgendwo in Harlem. Sein Eindruck hätte sich beim Betreten der Wolkenhütte verstärkt, weil er dort Leute beim Trinken, Rauchen oder Kartenspielen angetroffen hätte. Auf den Tischen standen die unterschiedlichsten Flaschen und Gläser, überquellende Aschenbecher, daneben mein Grammophon und mehrere Stapel Schallplatten. Genau so muß es früher in einer der verräucherten Jazzkneipen ausgesehen haben. Jede Woche besuchten wir eine Sauna, die auf einem Hügel in der Nähe des Flugplatzes am Petsamojoki Fluss lag. Dort zeigten uns die Einheimischen, wie man eine richtig heiße finnische Sauna genießt. Wem wir die Hitze kaum noch ertragen konnten, sprangen wir ins Freie, rutschten den Eishang herunter und fielen in ein vorher in das Eis des Petsamojoki geschlagenes Wasserloch. Als die Temperaturen weiter sanken, manchmal unter 30 Grad minus, wurde die Beheizung der Unterkünfte zum echten Problem. Zwar stand in jedem Zimmer der Baracken ein Ofen, aber der brachte bei dieser extremen Kälte auch nicht mehr viel. Um nachts nicht zu frieren, hatte ich mir einen besonderen Bettenbau ausgedacht: Auf das Untergestell breitete ich einen dicken Stapel mit Zeitungen aus. Darauf kamen zwei Wolldecken, gefolgt von einem Strohsack und zwei weiteren Wolldecken. Zum Zudecken nahm ich nochmals fünf bis sechs Wolldecken. Trotzdem wachte ich oft mitten in der Nacht frierend und zähneklappernd auf. Dennoch gefiel mir der Winter besser als der ewig helle und schlafraubende Mitternachtssommer. Auch wem jetzt die leichteste Brise sofort zu Eis gefror und der Polarwind meine Kameraden in die Messe oder die Unterkünfte trieb, spazierte ich gerne durch die Stille der kalten Winterlandschaft. Dick eingepackt in Mantel und Wollschal, fühlte ich mich nach solchen Spaziergängen richtig erfrischt. Gelegentlich konnte ich bei meinen Wanderungen ein besonders imposantes Naturschauspiel beobachten: das Polarlicht…“